Die Entstehung eines Menüs
Individuelle Geschmacksnoten, Garmethoden, Gefühle – oftmals sind es fragmentierte und flüchtige Gedanken, die den ersten Anstoß für ein neues Menü geben. Aus diesem Grund hängt in der Küche des GOLVET ein Blatt Papier. Zu Beginn ist es weiß, es ist lediglich mit dem Titel versehen: Frühlingsmenü 2024. Dann sammeln sich erste Begriffe: Radieschen, Gurken, frisch, der Beginn von etwas Neuem…Alles ist erlaubt und jede und jeder aus dem Team darf sich einbringen.
Für Küchenchef Jonas Zörner ist Teamwork mehr als nur ein hohler Begriff. Und das spürt man, wenn man den Blick in die Küche wirft. Alle sind perfekt aufeinander eingespielt: Sie tauschen sich offen aus, unterstützen sich gegenseitig. „Wir verbringen mehr Zeit miteinander als mit unseren Familien. Bei uns gibt es keinen Raum für Egos. Das ist ja das Tolle an der Gastronomie und vor allem an der Küche. Es ist ein Ort, wo es erlaubt und gewünscht ist, dass man ehrlich ist”, erzählt Jonas. So ist es auch nicht verwunderlich, dass bei der Entstehung der Menüs und Gänge alle im Team ermutigt sind, sich einzubringen. „Ich sammle dann sämtliche Ideen, die entstanden sind und baue ein Grundgerüst auf”, berichtet Jonas weiter.
Bei manchen Ideen ist er sofort Feuer und Flamme, bei anderen muss er auch mal über seinen Schatten springen. Stichwort: Bärlauch. Für viele ist er synonym mit Frühling. Für Jonas: schwierig. Er ist kein Fan des wilden Knoblauchs. Und trotzdem hat es der Bärlauch in den Hauptgang geschafft. „Oft sind es die Sachen, die man nicht mag, die richtig gut werden,” so Jonas.
Die einzelnen Gänge unterscheiden sich stark voneinander in ihrer Entstehung. Manche Gänge gestalten sich schwieriger in der Ausarbeitung, andere gehen einfach von der Hand. „Du schmeckst und riechst das Gericht schon und hast es beinahe fertig im Kopf.” So geschehen mit dem Gang, der als erstes in Jonas’ Kopf Gestalt annimmt. Die Inspiration hierfür liefern die Lieferanten des GOLVET, als sie eine Seafood-Kiste ins Restaurant bringen. Der Inhalt? Kaisergranaten aus Norwegen. Ihr Gegenpart? Dry Aged Entrecôte. Hauchdünn geschnitten und mit Fett durchzogen, schmilzt der Rinderschinken auf der gebratenen Langustine. Die Röstnoten des Krustentieres vermengen sich mit den Aromen des Schinkens und werden so zu einer perfekten Komposition. Das Rezept nimmt Form an. Die einzelnen Komponenten fügen sich zusammen, als ob sie zusammengehörten.
Nächster Schritt? Die Langustinenköpfe! Diese werden gegrillt und weiterverarbeitet. So entsteht eine besondere Mayonnaise, die den Geschmack der Kaisergranaten in sich aufnimmt. Jonas bleibt gerne nah an einem Produkt. Zander mit Kalbsjus würde es bei ihm nicht geben. Er möchte die Geschmacksnoten der Kaisergranaten voll ausschöpfen für den Gang.
Was als nächstes kommt? Jonas’ Küche zeichnet sich durch eine starke Säure aus, also: Säure! Jonas wollte schon lange eine Leche de Tigre ins Menü mit aufnehmen. Anstelle des Weißfisches, der typischerweise für die klassische Vinaigrette aus dem peruanischen Ceviche Verwendung findet, dienen bei Jonas jedoch Garnelen als Proteinlieferant. Ein Krustentierfond rundet alles ab. Dieser wird angegossen für das Gericht und verleiht ihm so den gewünschten Säurepunkt. Für den Sternekoch fehlt jetzt noch ein Hauch Butter. „Wir haben die Köpfe verarbeitet, wir haben die Schwänze verarbeitet, was fehlt noch? Die Karkassen. Also machen wir eine Bisque.”
Für Jonas ist es wichtig, alles von einem Tier zu verarbeiten. „Wenn man mit so tollen Zutaten arbeitet, ist es unverantwortlich, wenn man nur das Beste herausschneidet und der Rest in der Tonne landet.” Also werden die Karkassen für die Bisque verwendet. Klassisch, schaumig, cremig. Zum Ende wird noch der hauchdünne Schinken als kleines Päckchen – ganz luftig und locker – auf die Kaisergranaten gesetzt. Fertig ist der Gang. „Wir haben alles zusammengebracht und das Resultat war einfach phänomenal!” schwärmt Jonas.
Doch nicht immer läuft es so rund bei der Entstehung eines Gerichts. Der zweite Gang des neuen Menüs ist ein sogenannter Wiederkehrer. Grüne Tomate mit Salsa Verde. Ein kalter Zwischengang für die ersten wärmeren Tage. Das Gericht war bereits Teil des Menüs im Vorjahr und wurde von den Gästen sehr gut angenommen. Dieses Jahr möchte das Team den Gang weiterentwickeln. Sie experimentieren mit neuen Zutaten und Präsentationsmethoden. „Du denkst, du veränderst ein, zwei Sachen und gut ist. Der Gang war letztendlich am schwersten.”
So unterschiedlich sich auch die Erarbeitung der einzelnen Gerichte gestaltet, letztlich finden sie zueinander und bilden eine harmonische Abfolge an Gängen, die noch lange im Gaumen und den Köpfen der Gäste nachklingen werden. „Es gibt keinen größeren Lohn, als wenn unsere Gäste an der offenen Küche vorbeigehen und lächeln oder sogar klatschen, um das Menü zu feiern”, so Jonas. „Ich möchte sie glücklich und geflasht rausgehen sehen. Das ist das Größte für uns!” Wir sind überzeugt, dass das neue Frühlingsmenü genau das erreichen wird.